Der Apostel Paulus hebt von der Frucht des Geistes Gottes drei für Christen besonders hervorstechende Merkmale hervor: Glaube, Hoffnung und Liebe. Der Glaube ist die eigentliche Grundlage eines Christen. Auf ihm baut sich alles andere auf. Die Bibel lehrt uns, an Gott und an seinen Sohn zu glauben. Nirgendwo in der gesamten Bibel werden wir angewiesen oder angespornt, an Menschen oder menschliche Systeme zu glauben. Paulus sagt: “Denn einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus. . . . Daher soll sich niemand eines Menschen rühmen. Denn alles gehört euch; Paulus, Apollos, Kephas, Welt, Leben, Tod, Gegenwart und Zukunft: alles gehört euch; ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott. 1. Kor. 3:11
In unseren Wachtturm-Publikationen wird jedoch etwas anderes zum Gegenstand des Glaubens erhoben. Unser Glaubensfundament wird diversifiziert und soll damit auf eine weitere, eine dritte Grundlage gestellt werden, so dass er sich nicht mehr nur auf Gott und auf seinen Sohn alleine gründet.
„Glaube an eine siegreiche Organisation“
ist der explosive Wortlaut der Wachtturm-Titelseite vom 1.Juni 1979, der aufhorchen lässt und mit dem man Menschen anzuspornen sucht sich ihr unterzuordnen. Das Bestreben der Wachtturm-Organisation sich neben Gott und Jesus Christus als unverzichtbare dritte Glaubensinstanz einzureihen, nimmt gerade in den letzten Jahren groteske Züge an.
Ein ganzes Buch ließe sich mit Beispielen füllen, wie biblische Aussagen über Gott und Christus zuhauf auf die „sichtbare Organisation“ übertragen werden. Man kann Hunderte von Aussagen zitieren, die belegen, wie geschickt man die Loyalität gegenüber Gott mit der Loyalität gegenüber der sichtbaren Organisation gleichsetzt. Hier ein paar typische, immer wiederkehrende Wendungen, die diese Unart verdeutlichen: Unterordnung unter Gottes Leitung wird vertauscht mit Unterordnung unter die Leitung der sichtbaren Organisation und Vertrauen in Gottes Wort mit Vertrauen in das Wort der sichtbaren Organisation.
Biblische Aussagen über Christus bezieht die Organisation in einer Art auf sich selbst, die erkennen lässt, wie sie sich zunehmend in der Rolle Christi als „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ sieht. Johannes 14:6
Damit tritt an die Stelle Gottes ein Ersatz, den es zu allen Zeiten in Form von Götzen gegeben hatte und noch gibt, seien es Bilder, Skulpturen oder gar Herrscher, die sich selbst als Gott erhöht hatten – denken wir nur an den Papst oder den Kaiser von China, denen göttliche Verehrung entgegengebracht wurde. Über den Initiator solcher Bemühungen müssen wir uns nicht lange den Kopf zerbrechen – es ist kein geringerer als Satan selbst.
Damit steht die Wachtturm-Organisation unter den Religionssystemen zwar nicht alleine, doch sicher stellt sie ein herausragendes Beispiel für eine Rolle dar, die eigentlich nur Gott und Christus selbst zusteht. Man darf dieses Verhalten mit Recht als anmaßend, ja als Gotteslästerung bezeichnen.
Sollten wir uns weiter in dieser Weise indoktrinieren lassen, wird unser Glaube zwangsläufig nur Schaden erleiden. Der aufrichtige und in Gottes Augen annehmbare Glaube wird so unterminiert und auf das Niveau der Leichtgläubigkeit zurückgeschnitten. Je mehr der Glaube an Gott einem Glauben an Menschen weicht, umso verheerender sind die geistigen Folgen.
Spätestens hier wird der eifrige Zeuge Jehovas jetzt energisch widersprechen, denn er ist überzeugt davon, nicht an die Organisation, sondern an Gott und Jesus Christus zu glauben.
Versuche aber nur einmal einen Zeugen auf gewisse Fehler der Organisation hinzuweisen. Er wird dich als Lästerer gegen Gott und Christus betrachten und dich sofort in die Schublade eines glaubensschwachen oder Abtrünnigen stecken und jeden weiteren Kontakt mit dir abbrechen.
Zweifel an der Organisation sind für ihn gleichbedeutend mit Zweifeln an Gott und Christus.
Die schleichenden Folgen einer solchen Organisationshörigkeit sind verheerend, denn je mehr sich ein Glaube um ein beliebiges menschliches System dreht, desto eher lässt der Gläubige in seinem Streben nach geistigen Zielen nach. Solch ein Mensch wirkt nach außen hin sehr „religiös“ und ist doch im Grunde genommen ungeistig. Indem er bereitwillig der Fülle an angeordneten Tätigkeiten nachgeht, ist er davon überzeugt im Glauben zu sein. Faktisch aber ist er nur noch „organisationsbestimmt“ und lebt nicht aus seinem Glauben und Vertrauen auf Gott.
Ein bienenfleißiger Zeuge mag sein Leben mit emsigen Tätigkeiten ausfüllen, die ihm die Anerkennung und den Rückhalt der Organisation einbringen, gepaart mit einer angesehenen Vorzugsstellung als DAG oder Ältester. Sollte er davon entbunden werden, kann sich schnell verbitterte Enttäuschung einstellen, womit zugleich auch die vermeintliche Kraft seines Glaubens versiegen kann. Trotz seiner Unterstützungsbemühungen mag sein Leben in Bezug auf gottgefällige Tätigkeiten und Eigenschaften praktisch „fruchtlos“ bleiben, ohne die positiven Merkmale der Frucht des Geistes Gottes. Sie kommen von innen, aus dem Herzen heraus, und es sind: Taten der Liebe, der Freude, des Friedens, der Langmut, der Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung, alles Qualitätsmerkmale, die einem ungeheuchelten Glauben an Gott entspringen. Galater 5:22
Die folgende Aussage wirft ein Schlaglicht auf das Motiv für die Unterordnung unter ein System und die stete Verteidigungsbereitschaft ihrer Befürworter: „Es gibt verhältnismäßig viele Menschen, die sich gerne einer Überautorität oder einem Über-Ich in die Arme werfen. Man deponiert das kritische Denken, die eigene Persönlichkeit, die Entscheidungsfreude, ja sogar das Gewissen in der Garderobe des Machtausübenden und fühlt sich dabei noch hochmoralisch und als Muster der Treue und des Gehorsams.“ (Dr. R. Stecher: „Werte im Wellengang“, S. 53)
Personen, die an ein menschliches System glauben, erkennt man schnell an ihrer gesamten Handlungsweise und an ihren voreingenommenen Äußerungen, um jede Kritik und jede Widerrede bereits im Ansatz unreflektiert abzuwehren. Denn Kritik an ihrem geliebten System kommt der Kritik an ihnen selbst gleich, die augenblicklich zu einer Abwehrreaktion führt, denn die Einsicht in ihre falsche Überzeugung könnten sie nicht ertragen; es käme einer Selbstaufgabe gleich, und ihr einziger Halt würde wegbrechen. Aus dieser Angst heraus verbietet sich von selbst auch nur ansatzweises Nachdenken über kritische Einwände, die an ihnen wie Wasser an einer Scheibe abperlen. – Damit lassen sich Ihre Reaktionen weniger auf das Wirken des Geistes Gottes zurückführen, als vielmehr auf ihr Bemühen ihr Weltbild zu bewahren, das sich auf die Lehren und biblischen Interpretationen einer Organisation stützt.
So führt die Konfrontation mit schwerwiegendem Fehlverhalten innerhalb der Organisation oder offensichtlichen Irrtümern ihrer Lehren und Prognosen nicht etwa zu bescheidener Einsicht. Da man die Kraft nicht aufbringt sich demütig Fehler einzugestehen, verlegt man sich lieber auf die schöne Ausrede vom „neuen Licht“, sprich neuer Erkenntnis und erspart sich damit eine angebrachte schamvolle Selbstkritik und die Einsicht künftig den Mund nicht mehr so voll zunehmen wie in der Vergangenheit.
Der unerschütterliche, ungeprüfte Glaube an eine Organisation, der Kadavergehorsam ihrer Unterstützer und ihre Furcht davor, von ihr nicht mehr anerkannt zu werden, bringen keine lauteren Menschen hervor, sondern formen vielmehr Personen, die in einem ganz entscheidenden Punkt geschwächt sind.
Gerne wird von unserem t. u. v. Sklaven die Notwendigkeit einer menschlichen Organisation hervorgehoben, welche die Interessen Gottes auf der Erde vertritt, und vergleicht sie mit dem Volk Israel und ihren menschlichen Führern, Richtern und Königen. Wir wissen, dass der Wunsch nach einem sichtbaren menschlichen König vom Volk und nicht von Gott vorgebracht wurde, ferner, dass Richter und Propheten an der menschlichen Führung offen Kritik übten. Der Mut dieser vorchristlichen Diener Gottes, Fehler in der „Führer-Organisation“ bloßzustellen sowie die biblische Aufzeichnung ihres vorbildlichen Verhaltens erfüllen uns in prüfungsreichen Situationen mit Kraft und Mut, um unseren Glauben an Gott bewahren zu können.
Als die Apostel einst in einen Konflikt mit der angesehenen Gerichtsbarkeit des Sanhedrin gerieten, indem sie ihre Überzeugung in die bekannten Worte fassten – „Wir müssen Gott, dem Herrscher, mehr gehorchen als den Menschen.“ – hatten sie Gunst und Wohlwollen der etablierten Führerriege längst eingebüßt. Das kostet zugegebenermaßen Mut und kann zu unerfreulichen Begleitumständen und womöglich zu Einsamkeit und Ausgegrenztsein führen, ein Zustand, vor dem sich die meisten Menschen fürchten. Und diesen Zusammenhang nutzte unser großer Gegner schon immer schamlos aus.
Ja wer von uns Zeugen Jehovas bringt heute bei nicht konformem Verhalten den Mut auf, sich wie die Apostel öffentlich auspeitschen zu lassen – oder was dem heute etwa gleichkommt, sich nach Kritik und Widerrede ausgrenzen oder gar ausschließen zu lassen? Müssen wir denn heute Gott immer noch mehr gehorchen als Menschen oder einer nichtinspirierten leitenden Körperschaft???
Meine eigene Erfahrung ließ mich erkennen, welch niederdrückende Folgen der Glaube an eine menschliche Organisation mit sich bringen kann: die schwächende Unterwürfigkeit unter eine von Menschen ausgeübte Macht für den Glauben, die Sorge, nur ja nicht die Gunst unserer Brüder und die Anerkennung von Ältesten oder den Kreisaufsehern zu verlieren. – Ganz unbemerkt kann das alles unser Herz und unser Denken vergiften. Es ist nicht leicht, sich von diesen Auswirkungen zu befreien, und – das muss ich offen gestehen – es immer noch nicht zu hundert Prozent geschafft zu haben.
Keiner von uns hat Grund dazu, sich seiner eigenen Stärke oder der Stärke eines menschlichen Systems zu rühmen. Es war der Glaube an Gott, nicht der Glaube an das Staatsgebilde Israel oder eine menschliche Führung, der die Männer aus biblischer Zeit zu Vorbildern machte. „Sie waren schwach und wurden stark.“ Ich denke, man kann mit einiger Sicherheit sagen, dass die große Mehrheit der Organisations-Anhänger, die mit der Masse geht, es als schwierig empfände, außerhalb dieser Organisation, also gänzlich auf sich selbst gestellt zu funktionieren. Ohne ein solches System würden sie sich verloren vorkommen, orientierungslos und ohne wirkliches Lebensziel oder die Kraft, sich beständig und ausdauernd auf ein Ziel auszurichten.
Der Angst erzeugende Gedanke, ihren Glauben ohne diese Organisation ausüben zu müssen, ist für sie einfach unerträglich. Wo sollen wir denn sonst hingehen? – „Ohne Organisation, die uns sagt, was wir als „neues Licht“ anzunehmen und zu glauben haben und welche Aktionen als Nächstes angesagt sind, sind wir nicht in der Lage einen tragfähigen Glauben zu entwickeln.“ – Würden doch die meisten denken.
Die Situation wäre doch eine völlig andere, wenn sie einen soliden, allein auf Gott und sein Wort gegründeten Glauben hätten und sich nicht zum großen Teil auf Menschen stützen würden.
Vorrangig Betroffene
Die Folgen dieses bedingungslosen Kadavergehorsams der Ältesten gegenüber einer Organisation unter Ausschaltung des eigenen Gewissens und der eigenen Gefühle sind besonders für sensible Menschen in der Versammlung nur schwer zu ertragen.
Freilich sind nicht alle durch die hier betrachteten Faktoren im selben Maße betroffen. Wie in den Tagen Jesu gibt es auch heute nicht wenige, die eine feste führende Hand schätzen und daher gerne bestimmte vorgeschriebene Routinetätigkeiten erledigen. Sie wären womöglich überfordert, und es würde sie verunsichern, müssten sie ihre Tätigkeiten aufgrund ihrer biblischen Erkenntnis selbständig planen und umsetzen, und so empfinden viele von ihnen sogar Freude und nicht selten Stolz dabei, dem vorgezeichneten Weg gleichsam als „Sklaven des Sklaven“ nachkommen und dessen durchorganisierte Programme umsetzen zu dürfen. Wieder andere sind deswegen nicht besonders betroffen, weil sie nicht daran interessiert sind, den gestellten Erwartungen zu entsprechen und dafür die entsprechende Anerkennung zu erhalten. Ihre Gleichgültigkeit ist für sie ein Schutzschild.
Es ist jedoch eine traurige Tatsache, dass gerade die ernsthaften, aufrichtigen und gewissenhaften Zeugen unter dem ständigen Druck der Organisation mit ihren Vorgaben noch mehr zu leisten, am stärksten leiden.
Leider erhalten die aktuellen WT-Publikationen mit ihren pausenlosen Empfehlungen und Anreizen die schädliche Erwartungshaltung nach noch mehr Leistung im Königreichs-Dienst weiterhin aufrecht.
Und so befinden sich viele von ihnen in ständiger Sorge, man unterstelle ihnen insgeheim sie würden Schuld auf sich laden, wenn sie die „Vorschläge“ und „Empfehlungen“ der Organisation nicht befolgten, „vermehrten Dienst“ anzustreben. Wenn sie den Erwartungen dann nicht entsprechen sollten, kreisen ihre Gedanken wie in einer Tretmühle ständig darum, nicht genug zu tun und vor Gott versagt zu haben. Als Folge dieser chronischen Belastung stellen sich nicht selten schwere psychische Irritationen ein, die in einigen Fällen im Suizid enden.
Diese Gedanken wurden im Jahre 1977 in einem Brief an Fred Franz, den damaligen Präsidenten der Watch Tower Society, geäußert, und wir wollen ihn hier nur auszugsweise wiedergeben:
Ich habe das Gefühl, daß wir insbesondere empfindsame Menschen, die sich bereits schlecht in einer fordernden, rücksichtslosen Welt zurechtfinden, noch zusätzlich mit Belastungen und der Drohung mit Vernichtung niederdrücken. Diejenigen, die sich wirklich bemühen, in allen Dingen treu zu sein, und dann erkennen, daß sie nur unvollkommene Männer oder Frauen sind, die niemals alle festen Ziele, die Ihr setzt, erreichen werden (für den Dienst, die Zusammenkünfte, die Studien, das Verhalten, usw.), stehen in der Gefahr, unter der gesamten Last aller Erfordernisse, die ihnen eins nach dem anderen eingeimpft werden, zusammenzubrechen – eingeimpft mit Methoden, derer sie sich nicht einmal bewußt sind, so daß sie nicht in der Lage sind zu entscheiden, welche Erfordernisse wichtig und welche weniger wichtig sind, und in Depressionen verfallen, wenn sie sich bemühen, allen nachzukommen.
Der Briefschreiber war René Greutmann, ein gebürtiger Schweizer. Er war als Zeuge Jehovas im Gefängnis gewesen, weil er den Wehrdienst im Schweizer Heer verweigert hatte. Er folgte seinem Wunsch psychisch Kranken zu helfen, machte eine Ausbildung zum Krankenpfleger und erhielt Arbeit in einem psychiatrischen Krankenhaus in Zürich.
Im Brief an den Wachtturm-Präsidenten nannte er den Grund seines Schreibens:
„Ich hoffe, mein Beitrag kann etwas Licht in viele Depressionen und Suizide unter sehr gewissenhaften Brüdern und Schwestern bringen“
Darauf teilte er Einzelheiten über vier Suizide von Zeugen mit, von denen er persönlich Kenntnis hatte, und über andere Fälle, in denen Zeugen psychiatrische Hilfe benötigten. René Greutmann wusste jedoch von einem Fall zu berichten, der ihn selbst persönlich betraf.
Er erzählte, wie er seine Frau Clarisse kennengelernt und geheiratet hatte. Als eifrige Zeugin hatte sie den „Pionierdienst“ aufgenommen, während sie halbtags als Sekretärin ihren Lebensunterhalt verdiente. Pflichtbewusst trieb sie sich selbst zu vermehrtem Dienst an, bis sie den Punkt erreichte, wo sie sich nicht mehr in der Lage fühlte damit fortzufahren. Doch als sie mit dem Kreisaufseher sprach, spornte er sie an weiterzumachen. Bald darauf erlitt sie einen seelischen Zusammenbruch. Ihre Eltern brachten sie nach Hause in den französischsprachigen Teil der Schweiz, doch sie blieb äußerst niedergedrückt. Am folgenden Morgen begab sie sich auf das Dach des vierstöckigen Hauses und sprang hinunter.
Sie überlebte, zog sich aber mehrfache Brüche beider Beine und des Beckens zu. Das rechte Bein mussten die Ärzte direkt unterhalb des Knies amputieren.
Sie hatte gelernt, mit einer Beinprothese zu gehen. Von den Folgen der Ereignisse hatte sie sich aber nie mehr erholt. Sie glaubte, dass sie als Pionier und damit vor Gott versagt hatte und ihr Leben nun keinen Sinn mehr habe. Sie konnte sich ihr Verhalten nicht verzeihen. In dem Brief an die Wachtturm-Organisation schrieb René: „Natürlich bekam sie später zu hören, dass ‚niemand sie gezwungen habe über ihre Kräfte hinaus Pionierdienst zu verrichten.“
Weder diejenigen, die sich in dieser Weise äußerten, noch Clarisse wussten, welcher Druck sich durch die ständig wiederholten Ratschläge“ und „Empfehlungen“ für dieses ermüdende Tätigkeitspensum für manche aufbauen konnte. Aber Ihr wisst es, und Gott weiß es.
Eine Zeitlang unterzog sich Clarisse in der Schweiz einer psychiatrischen Behandlung und ging dann in die USA zurück. Doch die Depression besserte sich nur unwesentlich. Das Gefühl, in ihrer Religion versagt zu haben, bestand weiter. René bot ihr an, wieder in die Schweiz zurückzuziehen, aber sie äußerte, dass sie lieber in Kalifornien bleiben wolle. Eines Abends im Jahre 1975 fuhr sie zu einem Termin in das Kaiser- Hospital, von dem sie nicht mehr zurückkam. Am folgenden Morgen fand man ihr Auto; es war in der Nähe der Golden-Gate-Brücke geparkt. Ihre Leiche fand man in der Bucht im Wasser treibend. Sie war damals 34 Jahre alt.
Es ist natürlich richtig, dass man die Probleme eines Menschen nicht allein auf eine einzige Ursache zurückführen kann. Das tat auch René Greutmann nicht. Offen und ehrlich gab er nicht nur die ziemlich zerbrechliche seelische Konstitution seiner Frau zu, sondern auch seine eigenen Unvollkommenheiten und Mängel, und er fragte sich, was er sonst noch hätte tun können. Aber für ihn stand auch zweifelsfrei fest, dass es einen grundlegenden Faktor gab, der allen Bemühungen entgegenstand seiner Frau Erleichterung zu verschaffen.
Als René Greutmann die Ältesten der kalifornischen Versammlung darauf ansprach und sie bat die Beerdigung durchzuführen, lehnten sie ab. Sie begründeten das mit ihrem Verständnis zu den Ausführungen über Beerdigungen von Selbstmördern im Watchtower vom 15.Juli 1975, Seiten 447, 448 [deutsch: Wachtturm vom 15.Oktober 1975, Seite 640] und sagten ihm, sie hätten auf den guten Ruf der Versammlung zu achten.‘
Wir als Christen müssen ja die Tat der Selbsttötung nicht gutzuheißen, sie ist verkehrt und eine Sünde. Ein gesunder Mensch begeht aber solch eine Tat nicht, das tut nur jemand, der absolut verzweifelt ist und sich in einer höchst emotionalen Notsituation befindet, die wir nicht zu beurteilen haben. Mit einer Bestattung heißt man nicht die Lebensweise des Toten gut, sondern man stützt damit die Hinterbliebenen und erweist ihnen seine Liebe, vom Eindruck in der Öffentlichkeit einmal ganz zu schweigen.
In diesem Zusammenhang ist noch bemerkenswert, dass zwei Jahre später, nämlich in der Watchtower-Ausgabe vom 1.Juli 1977 [deutsch: Wachtturm, 1.September 1977, Seite 536-540], ein Artikel veröffentlicht wurde, der es den Ältesten ausdrücklich gestattete, Beerdigungen für Personen durchzuführen, die sich „in einem Zustand äußerster Verzweiflung oder geistiger Umnachtung“ das Leben genommen hatten. Die in dem erwähnten Wachtturm zum Ausdruck kommende Änderung ist richtig und lobenswert. Hätten die Ältesten in der kalifornischen Versammlung damals diesen Artikel gehabt, oder sich getraut gegen alle äußeren Widerstände ihren Verstand zu gebrauchen und ihr Mitgefühl sprechen zu lassen, dann hätten sie sicher anders gehandelt.
Wieder einmal wurde der Beweis erbracht, dass die Handlungsweise der Ältesten, ihr Denken und ihre Empfindungen völlig von den Anweisungen der Organisation bestimmt wurden und noch werden, und nicht davon, wozu uns unser Herz bewegen sollte.
Zu erwähnen bleibt noch, dass im Wachtturm-Artikel vom 1.September 1977 über die Änderung bei Beerdigungen nach Suiziden keine biblische Begründung genannt wurde. Es wurde einfach diese Erklärung abgegeben: „Da eine Beerdigungsansprache einem guten Zweck dient, zum Beispiel einer Möglichkeit des Zeugnisgebens, würde einem christlichen Prediger nichts im Wege stehen, eine solche Ansprache […] zu halten.“
Die Organisation hatte gesprochen, und nun konnten Älteste endlich das tun, wozu sie im Normalfall Herz und Verstand ohnehin bewegt hätten.
Ohne die Korrektur im Wachtturm hätten sie sich wohl weiterhin nicht getraut nach ihrer Gefühlslage vorzugehen. Hätten sie es doch getan, nur um damit die Richtlinien der Organisation zu verletzen, wären sie ohne Zweifel von Schuldgefühlen und Sorgen gepeinigt worden, ob sie weiter als Älteste hätten dienen können. Dann hätte sie ständig die Angst vor einem Ausschluss oder zumindest vor der Entbindung von ihrem Amt begleitet.
Es steht zu befürchten, dass die Hinterbliebenen in diesem Fall dieselbe Ablehnung erfahren hätten wie René Greutmann nach dem tragischen Tod seiner Frau. Man kann sich wirklich nur wundern, wie verbohrt man sein muss, um dies alles noch als geistiges „Paradies“ bezeichnen zu können.
Da wäre der Text aus 1. Joh. 4:18 sicher dazu geeignet, einiges, was schief hing, wieder geradezurücken:
„Furcht gibt es nicht in der Liebe, sondern vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, weil die Furcht hemmend wirkt.“ – Bis zur vollkommenen Liebe dürfte da noch ein gutes Stück des Weges zurückzulegen sein…
Wenn wir verstanden haben, in welche geistige Sackgasse uns die Übernahme eines von Menschen vorgefertigten und maßgeschneiderten Glaubens bringen kann, der sich überwiegend aus der Erkenntnis einer Gruppe von acht bejahrten Männern gebildet hat, sollten wir sehr vorsichtig sein und uns erst einmal Zeit nehmen – die nötige Zeit zur biblischen Überprüfung nach dem Vorbild der Beröer und ausreichend Zeit unseren Verstand zum Nachdenken zu gebrauchen.
Sollten dann die verantwortlichen Ältesten deiner Versammlung deine biblisch begründeten Bedenken zum Verständnis des „Sklaven“ nicht einmal anhören, geschweige denn sie überdenken zu wollen, solltest du deinen Lebensweg nur noch auf die Vorgaben aus Gottes Wort stützen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Die logische Konsequenz kann schließlich nur bedeuten, geistig und mit seinem Glauben auf eigenen Beinen zu stehen, da „jeder für sich selbst Gott einst wird Rechenschaft ablegen müssen“.
Lieber Bruder, Ich möchte mich jetzt einmal aus tiefstem Herzen bedanken, dass Du und Deine liebe Familie und die vielen anderen liebenden helfenden Hände im Hintergrund…, dass Du und Ihr diese wertvolle Seite nicht nur auf die Beine gestellt habt, sondern sie immer wieder mit LEBEN füllt. Ja, ein Leben, das endlich wieder ein Leben sein kann. (M)ein Leben und meine gesamte innere Welt, die beim Aufwachen wie ein Kartenhaus so schmerzhaft in sich zusammenfiel. Mein Kummer und meine zeitweise schiere Auswegslosigkeit, dass alles, was man für einzig und wahr hielt, sich als Täuschung herausstellte, es tat so bitterlich weh!!!… Weiterlesen »
Liebe Freunde, der Artikel benennt ein sehr wichtiges Thema: “Wie glaube ich?” Was ist die Basis meines Glaubens? Damit in Verbindung steht die Frage: wie ist meine Gottvorstellung – wie offenbart Gott sich mir? Nur so, wie Gott sich dem einzelnen offenbart, kann der Einzelne auch glauben. Gott offenbart sich den Menschen in unterschiedlicher Weise – und die Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten, dies wahrzunehmen. Ich möchte drei Dinge feststellen: a) Als Verwaltungsmitarbeiter einer Kommunalverwaltung – also einer “Organisation” kann ich sagen: Organisationen sollten ihren Mitgliedern dienen – nicht umgekehrt. b) Auch “Kirche” braucht “Organisation” – aber die dient eben nur… Weiterlesen »
@ Schneeflocke
Ich schliesse mich an deine Gedannken an, es ging mir auch so. Es tut weh aber mit der Zeit dankt man dass man es erkannt hat und nur durch unseren himmlischen Vater und Jesus. Hoffe das es noch viele geben wird den Mut zu haben es zu beenden, und den Schritt wagen dieihr alle hier bereiets durchlaufen seit. Für mich ein grosses Beispiel an Loyalität zu unserem Himmlischen Vater und sein Sohn Jesus, danke an allen, und den Mut den ihr mir Tag für Tag schenkt.
Liebe Grüesse Fanya
Ich hab “Mag ich” geklickt. Oho, kein einiges “mag ich nicht” bis jetzt. Hervorragend. Finde den Artikel aber auch gut geschrieben. Alles wahr. Mehr wie ein großes Lob an Lupo bekomme ich heute abend nicht mehr zustande, bin ausgelaugt.
LG Euer RoKo
Sitze gerade bei Lili in der Küche. Sie kocht gerade sehr lecker, ich und möchte, dass ich ihre Worte niederschreibe 😉 “Unser Beisammensein beim Treffen schwingt auch heute noch in unseren Gesprächen mit. Es tut so gut, den Unterschied zu erleben, zwischen dem noch stark Org-Traumatisierten Austausch des letzten Jahres und den befreiten Glaubensgesprächen, die wir mit Herzensfrieden heute führen können. Ein Gemeinschaftsdankeschön an unseren lieben Bruder und alle, denen wir am Freitag :-))) ( Grazie ragazzi) und Samstag persönlich begegnen durften und wir freuen uns jetzt schon auf den Herbst und alle kommenden Treffen. An alle, die noch zögern:… Weiterlesen »
Hallo zusammen! danke für den guten Artikel, er enthielt für mich sehr gute Gedanken. Auch die Kommentare sind schön! So liebevoll ???? an Lupo: du hast geschrieben…… Wir wissen, dass der Wunsch nach einem sichtbaren menschlichen König vom Volk und nicht von Gott vorgebracht wurde, ferner, dass Richter und Propheten an der menschlichen Führung offen Kritik übten. Der Mut dieser vorchristlichen Diener Gottes, Fehler in der „Führer-Organisation“ bloßzustellen sowie die biblische Aufzeichnung ihres vorbildlichen Verhaltens erfüllen uns in prüfungsreichen Situationen mit Kraft und Mut, um unseren Glauben an Gott bewahren zu können. Das finde ich einen sehr interessanten Gedanken. Damals… Weiterlesen »
Liebe Grüße an euch. Konnte aus bestimmten Gründen ja nicht dabei sein, aber Eure Freude und Berichte darüber tut uns auch gut. Hei Bea hatte mich vorher bereits lieb angerufen und uns sehr gestärkt. Haben ja grade schwere Zeiten. Danke, Ihr alle, für eure Unermüdlichkeit, geistig gemeinsam nach und nach aufzuräumen, auszuräumen, neu auszurüsten, auszubessern und zu sanieren, bei Bedarf Sicherheitsstützen einzuziehen, und dem Herrn danke ich für diese Seite und den Mut,den ich hatte, sie freien Herzens zu öffnen. Für die, die noch in der Mühle sind, ein Vorsicht ⚠ auf den Weg, der neue Sommerkongre ist unterwegs. Hier… Weiterlesen »
Hallo, ihr lieben Alle!!! Ein sehr guter Artikel, der den Kern trifft. “„Glaube an eine siegreiche Organisation“ – ist der Wortlaut der WT-Titelseite vom 1.6.1979, der aufhorchen lässt u. mit dem man Menschen anzuspornen sucht sich ihr unterzuordnen. Das Bestreben der WT-Org., sich neben Gott und Jesus Christus als unverzichtbare dritte Glaubensinstanz einzureihen, nimmt gerade in den letzten Jahren groteske Züge an.” Hat Jemand dazu zwei, drei aktuelle Beispiele parat? Leider konnten wir nicht zu dem Treffen kommen (zu weit weg). Gibt es auch in Sachsen solche Treffs? Wünsche euch Allen den reichen Segen Jahwehs und seines Einzuggegriffen, Jesus Christus. … Weiterlesen »
Es hört sich alles so schön an…würde euch auch gerne kennen lernen. Ich bin aus dem Raum Gifhorn.
Wenn jemand in der Nähe wohnt, dem es ähnlich geht – Uelzen ist ja auch nicht so weit 😉 – gerne unter annie.k@gmx.de melden.
Liebe Grüße, Annie