Im Zusammenhang mit dem Bestreben der Wachtturm-Gesellschaft (WTG), Körperschaft des Öffentlichen Rechts zu werden, ist von einigen Personen, darunter auch von solchen, die sich in der Materie für Fachleute halten, die Ansicht vertreten worden, die WTG habe sich in den vergangenen Jahren „geändert“, sie sei „liberaler und toleranter“ geworden. Dabei wird nicht nur auf die Äußerungen von den Vertretern der WTG Bezug genommen, ein wahrhaft zweifelhaftes Beweismittel – so beweiskräftig wie die „Demokratiebeweise“ mancher Staaten der Dritten Welt -, sondern auch auf den Wachtturm vom 1. August 2001. Das Recht auf eine persönliche Überzeugung
Deshalb wird hier dieser Wachtturm auf seine Aussage hin unter die Lupe genommen.
Um schon den Gesamteindruck vorwegzunehmen: man muss sich fragen, ob die Leute, die mit dem Wachtturm die obige Ansicht über die Entwicklung der WTG begründen wollen, ihn überhaupt gelesen haben und wie sie ihn gelesen haben; oder w o l l t e man ihn so lesen, dass man das „herausliest“, was man als Ergebnis erzielen möchte?
Aber betrachten wir die Aussage des Wachtturms selbst! Schon der erste Artikel trägt die Überschrift. Das Recht auf eine persönliche Überzeugung
Dass im Druck in solcher Stärke hervorgehobene Thema scheint der Meinung der o. a. Personen in ihren Schlussfolgerungen Recht zu geben; den Ausführungen des Artikels muss man zustimmen; auch das zweite Thema auf Seite 4, Warum glauben Sie das was sie glauben? – in dem erläutert wird, dass viele Menschen nur auf Grund ihrer Erziehung und Belehrung oder auf Grund der Beeinflussung durch die Medien ihren Glauben entwickelt haben, ist beachtenswert geschrieben.
Der Schlussfolgerung, man solle doch von seinem „Recht auf eine persönliche Überzeugung“ Gebrauch machen und nach dem in der Apostelgeschichte 17:11 erwähnten Beispiel der Beröer handeln, nämlich an Hand der Schrift seine Glaubensinhalte zu überprüfen, kann man nur zustimmen. Das klingt liberal und tolerant, und wer nicht weiterliest, mag zu dem oben erwähnten – trügerischen – Ergebnis kommen.
Doch nun wird im letzten Absatz auf Seite 6 der Zweck und auch die Zielgruppe für diese beiden Artikel klar; dort heißt es, Zitat:
„Jehovas Zeugen würden sich freuen, Ihnen dabei zu helfen. Selbstverständlich bleibt es Ihrer Entscheidung überlassen, was Sie glauben möchten“.
Also: diese beiden Artikel sind an Außenstehende – nicht an Jehovas Zeugen (JZ) selbst – gerichtet. Man tritt für das Recht Außenstehender auf eine persönliche Überzeugung ein, denn diese sollen ja „missioniert“, und zu Jehovas Zeugen bekehrt werden; daher auch das Hilfsangebot, um die entstehende persönliche Überzeugung schon entsprechend beeinflussen zu können.
Das ist der Grund der WTG für das überraschende Eintreten des Rechts auf eine persönliche Überzeugung! Aber ist das schon tolerant und liberal? Spricht das schon für eine Änderung in der Haltung der WTG? Keineswegs! Die Auffassung, dass Bürger von ihrem Recht auf eine persönliche Überzeugung und sogar von ihrem Recht auf einen Religionswechsel Gebrauch machen dürfen und sollten, war immer schon eine der Grundaussagen der WTG, aber nur, wenn es Andersgläubige betraf. Aber wie steht es damit für JZ selbst?
Hier der Auszug aus einem von der WTG in den U.S.A „An alle Kreis- und Bezirksaufseher“ vertraulich versandter Brief mit dem Aktenzeichen SCG:SSF vom 1.9.1980
Zitat: „Behaltet im Sinn, dass – um ausgeschlossen zu werden – ein Abgefallener nicht ein Förderer abtrünniger Ansichten sein muss. Wie im Wachtturm vom 1. August 1980, Seite 17 Absatz 2 erklärt, stammt das Wort ‚Abfall (English: Apostasy)‘ von einem griechischen Begriff, der ‚ein Abstehen von‘, ‚ein Abfallen von, Abtrünnigkeit‘, ‚Rebellion, Lossagung‘.
Wenn somit ein getaufter Christ die Lehren Jehovas, so, wie sie vom treuen und verständigen Sklaven dargelegt werden, verlässt, und damit fortfährt, trotz schriftgemäßer Zurechtweisung andere Glaubenslehren für wahr zu halten, dann ist er abtrünnig.
Es sollten liebevolle Anstrengungen unternommen werden, sein Denken richtigzustellen. Wenn er jedoch nach solchen Anstrengungen weiterhin darin fortfährt, seinen abtrünnigen Ideen Glauben zu schenken und das, was ihm durch die ‚Sklavenklasse‘ dargeboten wird, zurückzuweisen, dann werden angebrachte rechtliche Schritte unternommen.“ Zitat Ende
Man denke einmal darüber nach was das bedeutet „Göttliche Lehren, so wie sie vom treuen und verständigen Sklaven dargelegt werden“.
Wenn ein Zeuge Jehovas weiterhin bei seiner Überzeugung bleibt und das, was ihm durch die ‚Sklavenklasse‘ dargeboten wird, nicht akzeptieren kann, dann werden rechtliche Schritte unternommen? Wo bleibt da „Das Recht auf eine persönliche Überzeugung“, wie es die WTG für Außenstehende einfordert?
Ich weiß, ein Zeuge wird an dieser Stelle darauf hinweisen, jeder kann ja seine Überzeugung für sich behalten, nach dem Motto, Gedanken sind frei. Aber nein, den Brief sollte man richtig lesen. Selbst wenn er über seine Zweifel nicht spricht, und für sich die Lehren, so, wie sie vom treuen und verständigen Sklaven dargelegt werden, verlässt und andere Glaubenslehren für wahr hält, ist er abtrünnig, er sollte in seinem Denken zurechtgerückt werden.
Die Artikel des Wachtturms gelten für Jehovas Zeugen als „Speise zur rechten Zeit“, als geistige Nahrung“, die von dem „treuen und verständigen Sklaven“ kommt, und muss daher auch entsprechend aufgenommen werden. Was sagen diese beiden, für JZ bestimmten Artikel zu dem Thema des Rechts auf eine persönliche Überzeugung nun wirklich ?
Im ersten Artikel wird auf Seite 12, Absatz 19 gesagt:
„Wir sollten lernen, jedes Mal, wenn wir vor einer Entscheidung stehen, unser Denkvermögen zu gebrauchen, um zu erkennen, welche biblischen Grundsätze eine Rolle spielen und wie sie angewandt werden sollten. Entwickeln wir die Gewohnheit, in den biblischen Veröffentlichungen nachzuforschen, die der treue und verständige Sklave zu Verfügung stellt!“
Hier ist nicht die Rede vom Aufbau einer „persönlichen Überzeugung“, etwa durch das Lesen der Bibel selbst und von Bibelkommentaren, nicht einmal vom unabhängigen Gebrauch des „Denkvermögens“ gemäß der „persönlichen Überzeugung“, sondern vom Gebrauch der Schriften der WTG und ihren Auslegungen!
Im zweiten Artikel wird das Ziel der Aussagen des WT noch deutlicher! Auf Seite 14, Absatz 8 lesen wir:
„Erstens muss ein reifer Christ [gemeint ist damit ein reifer Zeuge Jehovas! Der Verf.] soweit es den Glauben und die Erkenntnis betrifft, mit Mitgläubigen in Einheit und in vollem Einklang sein, weil die Einheit aufrechterhalten werden soll. Er pocht weder auf seine eigene Meinung, noch hegt er private Vorstellungen, was das biblische Verständnis angeht, sondern er vertraut voll und ganz der von Jehova Gott durch seinen Sohn Jesus Christus und den “treuen und verständigen Sklaven”geoffenbarten Wahrheit.
Die Mittel dazu sind, wie der Absatz weiter ausführt, die in den Zusammenkünften und auf Kongressen zur rechten Zeit dargereichte „geistige Speise“. Hier ist keine Rede mehr von einer „persönlichen Überzeugung“, von einer eigenen Meinung, von privaten, d.h. persönlichen Vorstellungen und Überzeugungen, vielmehr muss die Überzeugung mit derjenigen anderer – das heißt letztlich mit der Lehre der WTG – in vollem Einklang sein, der Einheit wegen.
Keine Rede mehr davon, dass man sich nicht einfach auf Erziehung, Belehrung oder auch auf den Einfluss der „WTG-Medien“ wie JW Broadcasting verlassen soll – im Gegenteil, hier wird die vertrauensvolle Aufnahme und Annahme der Lehren der WTG gefordert. Wo vor Außenstehende massiv gewarnt werden – die Übernahme der Überzeugung anderer, wie z.B. die ihrer Eltern, Freunde, Kirchen oder anderer Gruppierungen – von JZ wird das gefordert. Auf Seite 14 Absatz 9 heißt es dann weiter, Zitat:
„Zweitens bezieht sich der Ausdruck “Glaube” nicht auf die Überzeugung des einzelnen Christen, sondern auf die Gesamtheit dessen, was wir glauben, … Wie könnte ein Christ mit Mitgläubigen in Einheit sein, wenn er sich nur einen bestimmten Teil des “Glaubens” zu eigen macht oder akzeptiert?… Wir sollten vielmehr alles nutzen, wofür Jehova durch seine Organisation sorgt …“.
Der Glaube eines Zeugen Jehovas ist also n i c h t die Überzeugung des Einzelnen; dazu hat er wegen der Einheit der Organisation nicht einmal ein Recht. Die persönliche Überzeugung bleibt hier völlig auf der Strecke, es sei denn, sie stimmt zufällig mit der WTG überein. Die eigene Meinung, auch mit Überzeugung vertreten, würde nur die Einheit bedrohen und Unruhe stiften.
Die ZJ, die vielleicht meinen das Recht auf eine persönliche Überzeugung gelte auch für sie, sollten sich keinen Illusionen hingeben. Nein, die „persönliche Überzeugung“ der Zeugen hat in der „Gesamtheit dessen, was wir glauben“, zu bestehen. Wir, das ist in diesem Fall die WTG, die ja auch das Recht hat, Glaubensinhalte zu wechseln oder auszutauschen, und durch das sogenannte „Neues Licht“ das Recht in Anspruch nimmt, sozusagen „per Knopfdruck“ die „persönliche Überzeugung“ von Millionen von JZ gleichsam zu verändern.
Im Gegensatz zu der Meinung, der WT vom 1.8.2001 deute auf zunehmende Liberalität und Toleranz in der WTG hin, zeigt dieser Wachtturm deutlich, dass sich bei der WTG nichts geändert hat, soweit es die Inhalte ihrer Lehre und die Politik gegenüber ihren Mitgliedern betrifft. Vielleicht hat die WTG gelernt, die Repräsentanten der Öffentlichkeit geschickter zu täuschen, doch als Zeugen Jehovas wird dir kein Recht auf eine persönliche Überzeugung zugestanden. Dieses Recht wird in dem genannten WT nur für Außenstehende gefordert; auch das ist keineswegs neu.
Der WT macht deutlich, was für die Menschen in Bezug auf Meinungs- und Redefreiheit zu erwarten wäre, wenn autoritäre und intolerante Gruppierungen wie die WTG entscheidenden Einfluss bekämen. Man sollte hoffen, dass die Glieder beratender Gremien von Kommissionen und Gerichten in der Lage sind, die Zweigleisigkeit – um nicht zu sagen „Doppelzüngigkeit“ – in der WTG-Politik zu erkennen. Einer solchen Organisation die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuzuerkennen, ist wahrlich kein Dienst an den Bürgern unseres Landes.
Aber es mehren sich Hinweise das auch Gerichte immer deutlicher die „Doppelzüngigkeit“ der WTG erkennen, wie dies ein Schweizer Gerichtsurteil vom Juli 2019 zeigt, SIEHE HIER.
Lieber Erni, vielen Dank für deine — nicht nur für Außenstehende — erhellenden Ausführungen zum Wachtturm aus dem Jahre 2001. Nein, die JW.Org ist keineswegs “liberaler und toleranter geworden” in Sachen Recht auf persönliche Überzeugung der einzelnen Zeugen Jehovas — im Gegenteil. Das wurde gut herausgestellt. Auch weitere Jahre später, hat ein Zeuge Jehovas kein Recht, seine Überzeugungen zu äußern und frei zu vertreten. Er müsste mit ernsten Repressalien rechnen. Im Mitteilungsblatt an alle aktiven Zeugen Jehovas Unser Königreichsdienst, 09/2007, S. 3, Fragekasten konnten die Zeugen folgende Anweisungen lesen, damit unmissverständlich klar ist, wie es um ihre Meinungs- und Redefreiheit… Weiterlesen »
Besten Dank für den guten Artikel und den Verweis auf die Beroeer. Oder wie ist das mit dem Text ” Euer Ja sei ein Ja und Euer Nein ein Nein” ? Wie kommt man da zur Doppelzuengigkeit?
Na ja die DDR war auch eine “Demokratie”. Es gab auch die freie Meinungsäußerung solange sie die gleiche wie die der Partei war.
Liebe Freunde, wenn man einer Religionsgemeinschaft angehört, dann dürfte es ziemlich klar sein, dass diese Religionsgemeinschaft nicht möchte, dass ihre Mitglieder die geistige Leitung kritisieren oder selbst die geistige Leitung übernehmen. Auch möchte die Gemeinschaft nicht, dass ihre Mitglieder die Gemeinschaft von innen auflösen, in Frage stellen oder ständig gegen das sind, für was die Gemeinschaft steht. Ich würde mal denken, das ist in jeder Religionsgemeinschaft so, da bilden JZ keine Ausnahme. Es gibt aber natürlich einen Unterschied zwischen Gemeinschaften wie JZ und anderen Religionsgemeinschaften: Solange man mit den Grundwerten der Gemeinschaft übereinstimmt und nicht offensichtlich gegen die Gemeinschaft arbeitet,… Weiterlesen »
Die WTG ist für Meinungsaustausch. Das kann ich mit Bestimmtheit sagen.
Du kommst mit deiner eigenen Meinung rein, und die WTG ersetzt sie mit ihrer Meinung.
Gestand Jesus Christus anderen eine persönliche Überzeugung zu? Und ob! Oft fragte er seine Zuhörer: “Was denkt ihr?”, um zu erfahren, wie sie persönlich über gewisse Fragen und Themen dachten (Mat. 18:21; 21:28; 22:42). Er forderte geradewegs dazu auf, sein unabhängiges Denkvermögen zu gebrauchen, sich ein gesundes Urteil zu bilden und nicht Vorgefertigtes einfach zu übernehmen oder nachzuplappern. Er sagte: “Warum findet ihr nicht schon von selbst das rechte Urteil?” (Luk. 12:57). Und: “Urteilt nicht nach dem Augenschein, sondern urteilt gerecht!” (Joh. 7:24). Auch der Apostel Paulus ermunterte zum selbstständigen Vergewissern und Nachdenken, als er zu Mitchristen sagte: “Prüft alles… Weiterlesen »
Solange du keine kritischen Fragen äußerst, ist alles gut.In dieser Organisation werden nur Arbeiter gebraucht (dumme Schafe,Sklaven ..).Eine eigene Ansicht spiegelt nicht die “Werte” dieses Kultes wieder.Es geht um Gehorsam .Auch wenn du recht behältst und es “neues Licht” gibt , hältst du besser deinen Mund.Natürlich darfst du die “Scheinüberzeugung” eines Zeugen Jehovas behalten.
Früher gab es Aufgaben in der theokratischen Schule: Leseaufgabe. Ein Bruder bekam duzend Verse zu lesen. Außerdem soll er eine Einleitung und eine „anspornenden Schluss“ SELBST (!) ausarbeiten. Das Thema, dass er besprechen wollte und der Hauptvers, konnte er auch SELBST aussuchen! Das andere war die „Höhepunkte der Bibellesung“. Diese Aufgabe dürften normalerweise Älteste oder Dienstamtgehilfen machen. Man bekam 2 bis 3 Kapitel aus der Bibel wo er SELBST einen oder mehrere Gedanken aussuchen und ausarbeiten könnte. Diese Aufgaben, meiner Meinung nach, waren gute Möglichkeiten eigene Redekunst weiterzuentwickeln und den Brüdern etwas neues zu „servieren“, das was sie vielleicht noch… Weiterlesen »
Ihr Lieben, betreffs dieses Themas schaue man sich auch die Glossareinträge “Eigenes Denken” und “Kritisches Denken” an, um weitere Belege dafür zu erhalten, wie sehr die WTG es hasst, wenn ihre Bots ihre Denkschüsseln nicht gemäß Org-Leitlinien in Bewegung setzen; das mag sie ÜBERHAUPT nicht – Beispiel gefällig? wt vom August 2018 erster “Studienartikel” S. 7 Abs. 19: “…ganz gleich, wie viel Erfahrung wir haben — wir dürfen nicht auf den eigenen Verstand vertrauen (Spr. 3:5, 6).” (Missbrauch von Spr 3,5-7: Wendet sich nicht gegen den Gebrauch des von Gott erhaltenen Verstandes und das Anwenden von verstandesmäßig erlangter Erkenntnis, denn… Weiterlesen »